Tierwohl und Leder

Könnten Rinder frei wählen, wo sie den Tag verbringen wollen, würden sie sich wohl mehrheitlich dafür entscheiden, zusammen mit Artgenoss*innen auf einer saftigen Weide zu stehen mit einigen Schatten spendenden Bäumen und einem klaren Bach oder Teich als Wasserquelle.

Entgegen den Bildern, die Milch- und Fleischverpackungen den Konsument*innen zeigen, haben von den ca. 11 Mio. landwirtschaftlich gehaltenen Rindern in Deutschland ca. ein Drittel diese Wahl. Die anderen leben entweder in sogenannten Laufställen oder in Anbindeställen. 

Vor allem in kleinen Milchviehbetrieben in Süddeutschland findet man die Anbindehaltung. Die Tiere sind dabei an einem festen Platz angebunden und können nicht frei im Stall herumlaufen. Im Jahr 2010 mussten etwa 650.000 Tiere in einer solchen Haltungsform leben (etwa 15 % der Kühe, in Bayern sogar 30 % der Kühe). Die (ganzjährige) Anbindehaltung ist aus Tierschutzsicht sehr umstritten. Die dänische Regierung hat deshalb im Jahr 2020 ein generelles Verbot dieser Haltungsform für Milchkühe ab dem Jahr 2027 verabschiedet. In Deutschland wurde eine Übergangsfrist bis 2028 beschlossen. Seit 2002 sind Anbindeställe in der EU nicht mehr aus EU-Mitteln förderfähig. Insgesamt nimmt ihre Zahl stetig ab. 

Haltungsform und Lederqualität

Die Haltungsform in der Rinderhaltung, sowohl bei Milchkühen als auch bei Rindern für die Fleischerzeugung, hat Einfluss auf das ganze Tier. Die Ernährung, die Bewegungsmöglichkeiten, die Pflege und die Gestaltung des Tierumfeldes wirken auf die Tiergesundheit, auf die Qualität und Zusammensetzung der Milch, auf die Fleischqualität und – last but not least – auf die Beschaffenheit der Tierhaut.

Dabei ist je nachdem, welche Kriterien zur Beurteilung man heranzieht, die Hautqualität von Tieren aus unterschiedlichen Haltungsformen als mehr oder wenige gut zu beurteilen.

Die Möglichkeit zum Weidegang mit ausgewogenem, tierartgerechten Frischfutter und Bewegung führt zu einer besseren inneren Hautstruktur als eine bewegungsarme Haltung mit wenig Frischfutteranteil. 

Was die Beschaffenheit der Hautoberfläche betrifft, zeigt sich ein etwas komplizierteres Bild.

Jede Haltungsform weist hier Vor- und Nachteile auf. Oder anders gesagt: bei jeder Haltungsform zeigen sich verschiedene Merkmale in unterschiedlicher Häufigkeit.

Die Scheuerspuren der Anbindevorrichtungen sind zum Beispiel oft noch auf der Lederoberfläche im Hals- und Nackenbereich zu erkennen. 

Auch die Spuren von Hautschädlingen (Läuse, Milben, Haarlinge) sind häufig bei Tieren aus Anbindehaltung zu sehen, weil die Tiere durch die Anbindung in ihrer Körperpflege eingeschränkt sind.

Solche Hautparasiten treten jedoch auch bei Kühen und Rindern in Laufställen auf, wenn die Ställe zu dunkel oder schlecht belüftet sind. 

Rinder mit Bewegungsfreiheit, sei es im Laufstall oder draußen, verletzen sich bei Rangkämpfen gegenseitig. Vor allem in Formen der ökologischen Tierhaltung, die die Hörner der Rinder nicht entfernen, können die Blässuren durch Hornstoß entstehen. Im Leder sind deren Spuren sichtbar.

Auf der Weide lauern weitere Verletzungsgefahren, die mal kleine und mal größere Spuren auf der Haut hinterlassen: Dornensträucher, Stacheldraht, rauhe Zaunpfähle oder Baumrinden. Auch Bremsen und andere stechende Insekten plagen Rinder beim Weidegang. Werden die juckenden Stellen aufgekratzt, bleiben kleine Narben in der Haut  zurück.

Schließlich spielt auch die Behandlung durch den Landwirt / die Landwirtin eine Rolle.  Ein Wellnessprogramm für Kühe sind automatische Kuhbürsten. Sie dienen einerseits der Fellpflege, können aber auch Hautschädlinge übertragen, wenn andere Herdentiere von solchen befallen sind und dies nicht früh genug erkannt wird.

Zu kräftiges Striegeln des Fells, eigentlich ebenfalls eine gut gemeinte Pflegemaßnahme, kann zu Verletzungen führen. 

Weniger gut gemeint sind Misshandlungen von Kühen mit Mistgabeln und Treiberstäben. Beides ist aus tierschutzrechtlich nicht erlaubt, kommt aber leider immer wieder vor. Wird ein Tier beim Verladen zum Transport in den Schlachthof verletzt, kann die Haut nicht mehr heilen. Im Leder erscheint später ein Loch. Kann die Haut noch heilen, bleibt eine Narbe, die im Leder sichtbar ist. Ebenso wie Operationsnarben nach tierärztlichen Eingriffen.

Rinderhäute sind so vielfältig wie Rinderleben 

Diese oberflächlichen, sichtbaren Merkmale auf der Rinderhaut, beeinträchtigen die Lederqualität in Bezug auf ihre Robustheit und Langlebigkeit nicht. Wichtiger für eine gute innere Lederqualität ist eine gute Tiergesundheit und eine möglichst artgerechte Haltung und gute Behandlung.

Die Kriterien der ökologischen Tierhaltung bieten hierfür die besten Rahmenbedingungen.

Alle Rinderhäute, die zu ecopell-Leder verarbeitet werden, stammen von landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland. Hierzulande werden nur etwa 6 % der Rinder ökologisch gehalten. Entsprechend gering ist das Angebot an Bio-Rinderhäuten auf den Häutemarkt. Dieser Anteil kann nur vergrößert werden, wenn der Konsum von ökologisch erzeugtem Fleisch gegenüber dem aus konventioneller Tierhaltung zunimmt.

Etwa die Hälfte der ecopell-Leder stammt von Häuten aus bäuerlicher Landwirtschaft und von kleineren Schlachtereien. Ein kleinteiliges Häuteaufkommen führt zu einem höheren Aufwand beim Einsammeln und Konservieren der Häute bis zur Anlieferung in der Gerberei. 

Große Chargen von Häuten, die aus Großschlachthöfen stammen, können schneller verarbeitet werden, weil die Mindestmenge für eine Gerbfassfüllung (200 – 250 Häute) leichter erreicht wird. Die Nachteile z.B. bei den Arbeitsbedingungen in Großschlachthöfen sind immer wieder kritisiert worden.

Um gutes Leder von glücklichen Kühen und Rindern herzustellen, ist ein grundsätzlicher Wandel in der Landwirtschaft hin zu mehr ökologischer Wirtschaftsweise nötig. Dazu kann jede*r Einzelne etwas beitragen. 

Und die gesetzlichen Standards für die Landwirtschaft müssen endlich konsequent in diese Richtung angehoben werden.

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